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Urbane Tischfreiheit

16. Juli 2012
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Sommer, ein Sonntag morgen, das schöne Wetter scheint zu halten: Picknick-Decke, Schraubgläser, Blechdosen, Bier und Säfte, Besteck, Thermoskannen, Kühltasche zusammensuchen. Blick in den Kühlschrank und die Picknick-Kreationen planen. Mehr als eine halbe Stunde Vorbereitungszeit ist nicht nötig, um die urbane Natur aus neuer Perspektive zu entdecken – die Stadt als „Wiese“ für unser Picknick.

Bis es soweit ist, noch die Leckereien einpacken: Zwei Stück Käse und eine halbe Salami in die Dose, Butter in ein leeres Marmeladenglas, Brot in die Papiertüte, Karotten und Kohlrabi in Stücke schneiden und in ein Schraubglas packen, heißes Wasser in die Thermoskannen, dazu Teebeutel und Instant-Kaffee, die selbstgemachte Erdbeermarmelade aus der Speisekammer holen, ein-zwei Bierchen. Ach ja, einen Kuchen hatten wir vor zwei Tagen schon gebacken – der muss natürlich auch mit. Alles in den Korb und Kühltasche und los geht’s zum Stadtpicknick!

Kühlschrankcheck und raus vor die Tür

Heute haben meine Frau und ich Freunde eingeladen. Ausgesucht haben wir einen vor unserer Tür schön gelegenen Abenteuerspielplatz mit Skater-Anlage, Fußballplätzen, Kletterfelsen und wichtig für uns: mit Tischtennisplatten. Ideal als Buffet-Tisch bis zur ersten Partie des Tages. Jeder der Gäste hat noch etwas aus seinem Kühlschrank und der Speisekammer mitgebracht und somit wachsen die Gaben. Auch wenn mehr als zwei Erdbeerkuchen auftauchen. Kein Problem, die kommen schon weg. Schnell ist alles aufgebaut und der erste Kaffee eröffnet die Runde.
Gleich drehen sich die Gespräche um das Thema Picknick: „Es ist doch so einfach – Sachen zusammenpacken und raus in die Stadt-Natur“ oder „Auch wenn die Occupy-Bewegung stark in den Medien präsent ist, Picknick im öffentlichen Raum war schon früher da“. Wenn ich mir das so überlege, hat ein urbanes Picknick im Grunde genommen auch eine politische Aussage: Entdeckung und Eroberung der öffentlichen Plätze und eine weitere sinnvolle Nutzung. Doch bevor wir zu verkopft werden, genießen wir doch einfach dieses Lebensgefühl. Freunde und Bekannte kommen zusammen, genießen zusammen, entdecken zusammen und ratschen.

Öffentliche Räume zum picknicken besetzen,…

Es ist eine lebendige Art des Zusammenkommens und des Kommunizierens. Jeder kümmert sich um die Mitbringsel für sich und seine Freunde, man tauscht sich über Rezepte und tägliches Geschehen aus, entdeckt die Natur zwischen Beton und Grün. Also, raus aus den eigenen vier Wänden: Ob Treppen vor Museen, Stadtparks, Hinterhöfe, brach liegende Industrie-Gelände oder eben Abenteuerspielplätze.

…aber mit (Lebens)Gefühl

Bald sind die Tischtennisschläger ausgepackt, ein Fußball rollt über den Rasen und Federball begeistert Groß und klein. Stunden vergehen wie im Flug, die Sonne lacht weiterhin. Zeit für ein kühles Bier. Aus einem entfernten Lautsprecher tönt das Lied von Tocotronic zu uns rüber: „…Wir genießen unsere Freizeit/ Und trinken warmes Bier im Park/ Man braucht nicht viel davon um glücklich zu sein…“. Glücklich waren wir alle an diesem Tag – weniger durch das Bier als durch das Lebensgefühl der Freiheit ohne Tisch: Picknick.

 

Geschrieben von: Thomas Sadler, Die Essgefährten - Essen mit BIOgrafie & Unterwegs für ein gutes Bauchgefühl
www.die-essgefaehrten.de